Volkstrauertag

Volkstrauertag 2018

Gedenkveranstaltung der Gemeinde Eschenburg in Simmersbach

Ansprache von Bürgermeister Götz Konrad und Totenehrung

„Sorgt Ihr, die ihr noch im Leben steht, dass Frieden bleibe“, steht jetzt hier in Simmersbach wieder auf einer Tafel, auf einer neuen Tafel.

Nach dem dreisten Denkmal-Diebstahl von insgesamt zwölf Bronzeplatten, die hier in Simmersbach und in Eibelshausen an die Opfer der Weltkriege erinnerten, haben viele Menschen dazu beigetragen, dass wir hier und heute und in Zukunft erinnern können an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

An manchen Orten heißen diese Denkmäler Ehrenmale und sind gewidmet „unseren Helden“. Als Helden sind diese Menschen, meist Männer, nicht gestorben. Sie sind auch hier gestorben als Söhne, Väter, Ehemänner, Brüder…

Reh, Rein, Wagner… die Familiennamen zeigen hier in Simmersbach: Das ganze Dorf war betroffen. Und es ist auch heute noch betroffen.

Deshalb danken wir dafür, dass wir keine pauschale Gedenktafel angebracht haben, sondern wir wieder mit den Namen erinnern an die Verluste, die Krieg und Gewalt gebracht haben.

Mehr als 3.500 € sind gespendet worden, damit in Simmersbach und Eibelshausen wieder alle Tafeln angefertigt werden, diesmal nicht in Bronze, sondern in einem modernen Kunststoff. Das ist nicht nur für solch gewissenslose Diebe uninteressant, es soll uns allen auch zeigen: Unsere Trauer ist zeitlos.

Es geht um die Erinnerung und die Ermahnung: „Sorgt Ihr, die ihr noch im Leben steht, dass Frieden bleibt.“

Der Volkstrauertag ist ein staatlicher Feiertag, auch wenn selten eine stattliche Zahl von Menschen zu den Friedhöfen geht.

Deshalb danke ich Ihnen herzlich für ihr Kommen. Besonders danken wir für Ihr Mittun

  • dem Posaunenchor der evangelischen Kirchengemeinde
  • Pastor Martin Simon
  • und dem Gesangverein „Liederkranz“

Haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht? Ich hatte im vergangenen Jahr den Tipp gegeben, im Urlaub mal die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges zu besuchen, die 100 Jahre nach seinem Ende immer noch große Gräberfelder sind.

Albert Schweitzer sagte: „Die Soldatengräber sind die großen Prediger des Friedens.“

Als kleiner Bub habe ich das erlebt in Verdun. Das Fort Douaumont, das Beinhaus mit Bergen von Knochen und Schädeln oder der Bajonettgraben, wo nur noch Gewehrläufe rausschauten, blieben als Bild im Kopf. Mit solchen Bildern im Kopf spielt man übriges anders mit dem Holzgewehr Cowboy und Indianer oder dem Computer-Ballerspiel. Beides will ich nicht verteufeln, aber um Obacht bitten.

Unser Verhältnis zum Krieg sollten wir mit dem Lied „99 Luftballons“ ausloten und immer wieder aufs Neue lernen, „dass sowas von sowas kommt“.

Wie unbedacht wir mit dem schweren Erbe in die Zukunft stolpern, zeigt mir die aktuelle Diskussion um das Westerwaldlied.

Es ist noch kein Krieg vom Zaun gebrochen worden, nur weil jemand das Westerwaldlied gesungen hat. Nur sind mit diesem Lied auf den Lippen aber auch viele ins Verderben geschickt worden.

Aber dadurch ist es noch kein schlechtes Lied, sondern schlecht ist, wer Schlechtes damit tut.

Entstanden ist das Lied „O, du schöner Westerwald“ übrigens 1932 in Daaden am Stegskopf, in einem Lager des so genannten Freiwilligen Arbeitsdienstes.

Lagerleiter, Baumeister der Gemeinde Daaden und Sportlehrer sollen im November zusammengesessen und gemeinsam den Text verfasst haben. Dazu haben sie eine alte Westerwälder Melodie genommen, die später zum Marsch weiterverarbeitet wurde.

1932 war auch das Jahr der Wahlkampfkampagne „Hitler über Deutschland“. Wenn auch die NSDAP bei der Reichstagswahl Stimmen verlor, machte sie auf dem Weg der Werbung Boden wett. Oder wie das damals hieß: Propaganda.

„Hitler über Deutschland“ pfiff stärker als der Wind überm Westerwald: Mit dem Flugzeug und dem Auto bereiste Hitler vor den Reichstagswahlen ganz Deutschland und sprach auf über 50 Großveranstaltungen, manchmal an fünf an einem Tag.

Unter dem Slogan „Hitler über Deutschland“ sorgte die Aktion für Aufsehen, der anschließende Film und das Fotobuch für bleibende Beachtung. Das Fotobuch wurde als preiswerte Broschüre verkauft, gedruckt in einer Auflage von einer halben Million Exemplaren. Das war neu – und das prägte die Zeit mehr als unser Westerwaldlied.

Ist die Junkers 52 ein Nazi-Flugzeug? Auf den Inhalt kommt es an: Das Flugzeug mit der Kennung D-2600 transportierte Adolf Hitler und wurde somit zum Nazi-Flugzeug.

Denn mit „Hitler über Deutschland“ und den Fotos von Heinrich Hoffmann wurde der Kult um den Führer begründet. Diese Propaganda machte die NSDAP zu einer Massenbewegung und vermittelte in einer Zeit der Weltwirtschaftskrise und Orientierungslosigkeit den Eindruck von Stärke und Geschlossenheit.

Was zunächst gut klingt, transportiert das Böse: Mit Führerprinzip und Volksgemeinschaft kamen auch Rassenlehre und Antisemitismus. „Minderwertige“ Menschen galten als unterlegen, wurden ausgegrenzt, als lebensunwert bezeichnet, verfolgt, ermordet.

„Die Juden sind unser Unglück!“ verbreitete 1879 der eigentlich liberale Berliner Geschichtsprofessor Heinrich von Treitschke. Die Nationalsozialisten erhoben diesen alten Antisemitismus zum Programm.

Und mit ihrer Propaganda durchdrangen diese Gedanken jede Faser des Lebens im deutschen Reich. Diese Gedanken krochen, wie winzige Dosen tödlichen Giftes, in die Köpfe.

Die Aussage „Die Juden sind unser Unglück“ war damals genauso falsch wie heute die Befürchtung „Flüchtlinge bekommen Weihnachtsgeld“.

Deshalb ist es besser, solchen Lügen entgegen zu treten oder sie wenigstens nicht zu verharmlosen und zu verbreiten.

„Man wird ja wohl noch sagen dürfen“, darf keine Entschuldigung dafür sein, das Denken auszuschalten.

Die Angst zu kurz zu kommen oder abgehängt zu werden darf sich nicht verbünden mit dem falschen Glauben, man selbst sei etwas Besseres und mehr Wert als andere.

Wie aus Neid schnell Hass und aus Streit Mord wird, lesen wir in der Bibel-Geschichte von Kain und Abel.

Wir müssen lernen, dass es immer auf den Inhalt ankommt: Ob nun ein Lied, eine Broschüre, eine Wahlkampfkampagne oder einfach nur so eine Parole. Schlimm wird es nur, wenn wir scheinbar harmlos unterschwellige Botschaften transportieren, die schlimm sind oder schlimm werden können.

Das Westerwaldlied an sich trifft keine Schuld. Es hat ein ähnliches Schicksal wie unser Eschenburg-Turm. Beide wurden für das Regime der Nationalsozialisten eingespannt. Und erst in dieser Funktion wird es zum Teil des Nationalsozialismus. Ich darf das Lied singen und auch mir einen neuen Turm wünschen, wenn ich die Geschichte kenne, um die Risiken weiß, für eine schlechte Sache eingespannt zu werden, und wenn ich damit umgehen kann, etwas Gutes zu tun.

Deshalb tun wir gut daran, mit diesem Volkstrauertag zu erinnern und zu ermahnen – auch mit diesem Kranz, den wir nun niederlegen.

„Sorgt Ihr, die ihr noch im Leben steht, dass Frieden bleibe.“

Wir denken heute

an die Opfer von Gewalt und Krieg,

an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken

der Soldaten, die in den Weltkriegen starben,

der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer,

die verfolgt und getötet wurden,

weil sie einem anderen Volk angehörten,

einer anderen Rasse zugerechnet wurden

oder deren Leben wegen einer Krankheit

oder Behinderung als lebensunwert

bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer,

die ums Leben kamen, weil sie Widerstand

gegen Gewaltherrschaft geleistet haben,

und derer, die den Tod fanden, weil sie an

ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern

um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege

unserer Tage, um die Opfer von

Terrorismus und politischer Verfolgung,

um die Bundeswehrsoldaten und

anderen Einsatzkräfte,

die im Einsatz für uns ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer,

die bei uns durch Hass und Gewalt gegen

Fremde und Schwache Opfer geworden sind.

Wir trauern

mit den Müttern und mit allen,

die Leid tragen um die Toten.

Wir denken darüber nach,

wie leicht sich Neid und Hass zu Gewalt und Krieg entfachen und dann Fremde und Schwache zu Opfern machen.

Wir mahnen

damit dieser Tag auch in Zukunft uns gedenken und nachdenken lässt, dass Friede nicht nur die Abwesenheit von Krieg ist.

Wir müssen handeln,

damit Frieden geschaffen und gesichert wird – auch durch diesen Volkstrauertag.

Unser Leben steht im Zeichen der

Hoffnung auf Versöhnung unter den

Menschen und Völkern,

und unsere Verantwortung

gilt dem Frieden unter den

Menschen zu Hause und in der Welt.